Evangelium
In jener Zeit sprach Jesus zu seinen Jüngern: Wenn der Menschensohn in seiner Herrlichkeit kommt und alle Engel mit ihm, dann wird er sich auf den Thron seiner Herrlichkeit setzen. Und alle Völker werden vor ihm versammelt werden und er wird sie voneinander scheiden, wie der Hirt die Schafe von den Böcken scheidet. Er wird die Schafe zu seiner Rechten stellen, die Böcke aber zur Linken. Dann wird der König denen zu seiner Rechten sagen: Kommt her, die ihr von meinem Vater gesegnet seid, empfangt das Reich als Erbe, das seit der Erschaffung der Welt für euch bestimmt ist! Denn ich war hungrig und ihr habt mir zu essen gegeben; ich war durstig und ihr habt mir zu trinken gegeben; ich war fremd und ihr habt mich aufgenommen; ich war nackt und ihr habt mir Kleidung gegeben; ich war krank und ihr habt mich besucht; ich war im Gefängnis und ihr seid zu mir gekommen. Dann werden ihm die Gerechten antworten und sagen: Herr, wann haben wir dich hungrig gesehen und dir zu essen gegeben oder durstig und dir zu trinken gegeben? Und wann haben wir dich fremd gesehen und aufgenommen oder nackt und dir Kleidung gegeben? Und wann haben wir dich krank oder im Gefängnis gesehen und sind zu dir gekommen? Darauf wird der König ihnen antworten: Amen, ich sage euch: Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan. Dann wird er zu denen auf der Linken sagen: Geht weg von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das für den Teufel und seine Engel bestimmt ist! Denn ich war hungrig und ihr habt mir nichts zu essen gegeben; ich war durstig und ihr habt mir nichts zu trinken gegeben; ich war fremd und ihr habt mich nicht aufgenommen; ich war nackt und ihr habt mir keine Kleidung gegeben; ich war krank und im Gefängnis und ihr habt mich nicht besucht. Dann werden auch sie antworten: Herr, wann haben wir dich hungrig oder durstig oder fremd oder nackt oder krank oder im Gefängnis gesehen und haben dir nicht geholfen? Darauf wird er ihnen antworten: Amen, ich sage euch: Was ihr für einen dieser Geringsten nicht getan habt, das habt ihr auch mir nicht getan. Und diese werden weggehen zur ewigen Strafe, die Gerechten aber zum ewigen Leben.
Matthäus 25,31–46
Über den Hautportalen vieler romanischer Kirchen ist diese Szene vom Weltgericht abgebildet, wie sie Matthäus in seinem Evangelium erzählt.
Auch über der neoromanischen Adalbero-Kirche in Würzburg findet sich diese Darstellung. Bei unserem wöchentlichen Friedensgebet, als wir vor dem Portal beim abendlichen Gebetsläuten der Glocken im Schweigen verharrten, habe ich oft zu dieser Darstellung vom Weltgericht hochgeschaut. Auf den Weltenrichter in der Mitte und auf die zu seiner Rechten und Linken. Interessant, wie die Menschen auf diesen Darstellungen verteilt sind. Kronen, Mitren oder andere Zeichen weltlicher und kirchlicher Macht zählen da nicht. Sie sind auf beiden Seiten des Weltenrichters oder gleich ganz unten in der Hölle zu finden. Wichtig ist bei der Zuteilung allein die Frage: Was hast du getan oder nicht getan um meinetwillen?
Für heute formuliert: Hast du Flüchtlinge aufgenommen, bist du gegen Hass aufgestanden, der sich heute gegen jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger richtet? Bist du für Frieden eingetreten in deinem Umfeld, aber auch in der Welt? Wenn ich mir diese Fragen stelle, frage ich mich auch: Wo werde ich da meinen Platz finden? Im Betrachten und Nachsinnen zieht mein Leben an mir vorbei. Was habe ich getan oder nicht getan? Und auch: Wen würde ich da nach dem Tod wiedersehen?
Ich persönlich halte es für gut und tröstlich, sich von diesen überkommenen Bildern freizumachen: von im Fegefeuer leidenden Menschen und vom Schmoren in der Hölle – während die anderen mit den Engeln singen.
Dennoch. Die Bibelstelle und die Bilder dazu regen mich an, zu fragen: Was wird aus mir? Wohin gehen die Toten? Wo sind mein Vater, der starb, als ich gerade mal 20 war, oder Studienfreunde, die überraschend jung gestorben sind?
Ich glaube, sie sind eingegangen in die große Kraft, aus der alles, was ist, hervorgeht und wieder zurückfließt. Und das ist für mich nicht der Weltenrichter, der einige ins Feuer oder in die Verdammnis schickt. Ich glaube, die Toten ruhen in Gott. Wie das ist und wo? Das ist für mich ein Geheimnis. Ich sehe es mit Respekt. Aber auch mit Neugier. Ich male mir dabei vorsichtig die Bilder aus, von denen mein Glaube erzählt. Er sagt mir: Dann wird kein Schmerz mehr sein, kein Leid, kein Geschrei. Es wird Frieden sein und alle Tränen werden von unseren Augen abgewischt.
Es sind Bilder, in denen das Leben steckt. Für mich sind das Visionen des Jesus von Nazareth, der uns von einem barmherzigen mütterlichen und väterlichen Gott erzählt.
Gerhard Reitz ist Priester der Diözese Würzburg.