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„Von den Armen lernen“

Statt „Weiter so“ ein radikaler Kurswechsel

„Von den Armen lernen“: Michael Kuhnert informierte in der KHG über Gefahren und Chancen der modernen Weltgesellschaft

Selten standen wir vor so vielen komplizierten und unlösbaren Fragen wie in diesen Tagen. Sei es die schwankende Wirtschaft, Konfliktherde in vielen Kontinenten, Hunger und Armut in nicht gekanntem Ausmaß oder die besorgniserregende Entwicklung des Weltklimas – auf all diese Probleme fehlen die notwendigen Antworten. Politiker und Wissenschaftler wetteifern um den richtigen Weg. Doch warum nicht einmal den Blickwinkel wechseln und losgelöst von unsere Denkstrukturen nach möglichen Auswegen suchen? Michael Kuhnert hat genau das getan. Der Mitarbeiter von Adveniat hat viele Jahre in Südamerika als Entwicklungshelfer gelebt und macht nun den provokativen Vorschlag: „Von den Armen lernen“. Unter diesem Titel setzte er sich bei einem Diskussionsabend der KHG mit der Frage auseinander: Wie sichern wir unsere Zukunft?

Nach vielen Jahren in Argentinien und Kolumbien bedeutete die Rückkehr für Michael Kuhnert und seine Familie eine Art Kulturschock. Vieles was ihm hier begegnete war ihm fremd geworden. „In dieser Situation suchte ich nach einer neuen Orientierung“, so Kuhnert. Die Distanz zum Leben in Deutschland und Europa sensibilisierte ihn für die besondere Lebensweise und unsere Probleme. „Auf all unsere Krisen versuchen wir immer die gleichen Antworten zu geben.“ Stets erweise sich etwa wirtschaftliches Wachstum als das universelle Allheilmittel. Seiner Ansicht nach sind die Europäer fixiert auf die immer gleichen Werte und Ziele, die nicht in frage gestellt werden. „Dabei schauen wir nie über den Tellerrand hinaus, sondern beschränken uns auf den eigenen Kulturhorizont“, erklärt Kuhnert. Genau hier setzt seine Kritik an. Er dagegen schlägt vor, auch nach anderen Antworten zu suchen, die sich aus der Tradition weniger entwickelter Gesellschaften ergeben können.

Der Theologe Kuhnert ist überzeugt, dass eine unreflektierte Wachstumsideologie kein zukunftsfähiges Modell darstellt. Das lässt sich allein schon aus dem rasanten Bevölkerungswachstum schlussfolgern: „Wenn jeder der 2050 lebenden 9 Milliarden Menschen den heutigen entwickelten Lebensstandard beansprucht, brauchen wir eine zweite Erde“, so Kuhnert. Am Beispiel der Weltklimakrise zeigte er, dass wir uns mit unseren Vorstellungen auf eine tödliche Sackgasse zu bewegen. Schonungslos wird mit den Ressourcen umgegangen, um Gewinne zu maximieren und die Wirtschaft zu beschleunigen. Bestes Beispiel dafür ist die rücksichtslose Abholzung riesiger Regenwaldgebiete in Südamerika. „Würde jeder Mensch soviel CO2 verbrauchen wie die Deutschen schon heute, bräuchten wir vier Erden, um überleben zu können“, stellte Kuhnert dar. Tier- und Pflanzenarten sterben aus, Dürreperioden in Afrika machen immer mehr Getreideimporte notwendig.

Wir Europäer sind zwar die mit die Hauptverursacher des Klimawandels und doch leben wir in einer paradoxen Situation, die uns den Ernst der Lage verschleiert. Wenn die Erwärmung des Klimas weiter voranschreitet, werden wir am wenigsten negativ davon betroffen sein. Während der Rest der Welt vertrocknet, werden wir in Europa noch genügend Wasser haben. Obwohl diese dramatische Entwicklung absehbar ist, stellen wir unsere Gewohnheiten nicht infrage. „Wir suchen wie Junkies nach Öl, weil wir uns ein Leben ohne es nicht vorstellen können“, so Kuhnert. Als „homo oeconomicus“ interessierten uns andere Lebensentwürfe kaum noch. „Während wir sehenden Augens die Zukunft unseres Planeten aufs Spiel setzen, wollen wir alle, dass es unseren Kindern einmal besser geht.“ Eine Formel, die nicht aufgehen kann und jeder, der kritisch nachdenkt, müsste das wissen. Dabei ist längst bekannt, dass ein extensiver Konsum nicht ein Mehr an Glück bedeutet. Wir leben im Überfluss, trotzdem geht es uns schlecht. „Wir benehmen uns wie eine Horde Jugendlicher, die sich gehen lässt und dann mit einem bösen Kater aufwacht“, zog Kuhnert Bilanz.

Nach Ansicht des Referenten helfen jetzt keine Korrekturen mehr, sondern nur ein radikaler Kurswechsel. „Wir müssen uns an ganz anderen Werten orientieren, wie wir sie zum Beispiel bei den Armen finden.“ Um unter einfachsten Bedingungen möglichst gut zu leben, halten sie sich seiner Erfahrung nach an ein ganz anderes Wertemodell. Hilfsbereitschaft statt Egoismus, Einfachheit gegen Überfluss, Entschleunigung anstatt Zeitdruck, Verantwortung statt Individualität. Nach Einschätzung von Michael Kuhnert sollten wir uns hieran ein Beispiel nehmen und uns von einem unreflektierten Eurozentrismus verabschieden, genauso wie von Wachstumseuphorie und Konsumismus. Wer sich auf diesen Weg begibt, wird die Begriffe Glück und Lebenssinn für sich neu definieren. Nach dem Prinzip „Sumak Kawsay“ der indigenen Völker solle man ein gutes Leben führen. Das heißt, seine Existenz nicht auf Kosten anderer Menschen oder der Natur zu führen, da alles zur Erde gehört und auch in Bezug zu ihr steht. Es sei ein Missverständnis, dass der Mensch von der Natur getrennt ist und sie als Ressourcenlager ausbeuten darf.

In der anschließenden Diskussionsrunde stellte sich für einige Zuhörer die Frage, ob ein solcher Wandel in der Haltung gegenüber Natur und Kultur realistisch umzusetzen sei. Ein grundlegender Bewusstseinswandel bedarf offensichtlich immer erst der entsprechenden Katastrophe, nach der es unter Umständen für eine Umkehr zu spät ist. Michael Kuhnert setzt auf das Prinzip Hoffnung und erwartet hier auch von der Kirche eine aktive Rolle.

 

Jan Weismantel