„Kirche? … find‘ ich gut!“
titelte ich in der Vergangenheit, um Werbung für Kirche und Glauben zu machen. Ich betonte das Positive, Heilende, Helfende und Rettende unserer Botschaft.
Nun hat sich Staub auf die Seele gelegt. Es fällt schwer, begeistert zu sein. Ich sehe den Mehltau auf dem Grün des Glaubens auch bei anderen.
Mit Visionen sind wir doch gestartet!
Meine Gedanken wandern zurück: Die Worte „Reich Gottes“, „Neues Leben“ und alles, was dazu gehört, waren kraftvoll. Sie erzählten von einem „Mehr“ an guten Möglichkeiten. Zugleich hörten wir Kritik aus evangelikalen und charismatischen Kreisen, dass wir zu „lau“, nicht richtig bekehrt und wenig geisterfüllt waren.
Trotzdem gingen wir weiter. Der „konziliare Prozess von Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung“ sollte uns leiten. Mitbauen an einer besseren Welt! Nena besang „99 Luftballons“ und die Grünen kamen in den Bundestag. Aufbruchstimmung! Zugleich wurden wir kritisiert, weil unsere Kirche früher meist rechts, national, kriegsbegeistert oder schlimmer war und erst in den 60er Jahren eine „Ja“ zu Demokratie und Menschenrechte sagte.
Die Institutionenkritik, dass „die Kirche“ mit verantwortlich für geschichtliche Grausamkeiten von politischer Intrige, Inquisition, Folter, Antisemitismus, Kolonialismus, Ausbeutung, Naturzerstörung und Unterdrückung war, hinterließ ihre Spuren.
Nun kommen die Skandale wegen sexualisierter Gewalt in kirchlichen Kreisen dazu. Unsere kollektive seelische Elastizität ist aufgebraucht. Neue Visionen sind rar. Abbau kirchlicher Ressourcen ist Alltag.
Ich lasse die Bilder vergangener Jahrzehnte vor meinem inneren Augen vorüberziehen … und habe Respekt: Ich kenne nämlich keine andere Institution, die so ehrlich mit sich selbst umgeht, Fehler anschaut, ihren Gegnern zuhört und sich selbstkritisch geprüft.
Unsere Kirche lernt durch Schmerzen hindurch. Beachtenswert! Das braucht die Welt!
Überall melden sich nämlich die Besserwisser und Make-Me-Greater-Leute zu Wort. Orte des selbstkritischen Lernens sind selten … und bitter nötig.
Dies bedenkend werde ich stolz auf meine Kirche, dass sie genau dies leistet. Angelehnt an den 1. Thessalonicherbrief in Kapitel 5, Vers 21, unserer Jahreslosung, könnte man sagen: „Sie prüft alles mit Schmerzen, und behält das Gute für die Kommenden. Möge sie und mögen sie gesegnet sein.“
Herzlich, Ihr Frank Witzel,
Evang.-Luth. Pfarrer, Kirche an anderen Orten, Springerdienste im Dekanat Würzburg, Traumatherapeut, Geistlicher Begleiter, NLP-Master, Schwerhörigenseelsorger, Dekanatsbeauftragter „Ehrenamt“, Dekanatsbeauftragter für Motorradfahrer*innen-Seelsorge, Sprecher AG „Motorrad-Evangelisch“ und Kunstbeauftragter im Kirchenkreises Ansbach-Würzburg