Zunächst einmal herzlichen Glückwunsch zu Ihrer Auszeichnung! Wie haben Sie denn von Ihrer Platzierung erfahren und was hat die Nachricht in Ihnen ausgelöst?
Bereits im April habe ich erfahren, dass ich unter den letzten fünf von insgesamt 17 Bewerberinnen bin. Das Geheimnis der endgültigen Platzierung wurde aber erst am Tag der Preisübergabe gelüftet. Ich war natürlich sehr aufgeregt, weil ich nicht gerne im Mittelpunkt stehe. Als ich dann aber auf der Bühne stand und den Preis entgegengenommen habe, war das doch ein sehr bewegender Moment. Ich fühle mich tatsächlich geehrt. Ich muss aber dazu sagen: Wirklich alle 17 Projekte sind preiswürdig und werden von tollen Frauen vertreten, die sich sehr engagieren.
Wofür genau wurden Sie ausgezeichnet?
Den Preis habe ich für meine über 30-jährige Tätigkeit bei den Oberzeller Franziskanerinnen bekommen. Seit 1993, also exakt 30 Jahre, bin ich im Haus Antonia Werr tätig, seit 2008 bin ich die erste nicht klösterliche Leiterin einer Einrichtung des Klosters Oberzell. Das Haus Antonia Werr gibt es in dieser Konzeption seit 1989. Über die Jahre hinweg haben wir das Konzept kontinuierlich an aktuellen gesellschaftlichen Notlagen ausgerichtet und erweitert. Zu Beginn gab es nur ein vorübergehendes Wohnangebot für Frauen, die durch Arbeitslosigkeit, Krankheit, Trennung oder Haft ihre Wohnung verloren haben, sowie das Frauencafé „Punktum“. Dann kam – auch auf Anfrage der Stadt Würzburg – die Kurzzeitübernachtung für wohnungslose Frauen dazu. Dann ein Sleep-In für jugendliche Obdachlose (ein Notquartier für Frauen von 17 bis 21 Jahren, Anmer-kung der Redaktion). In Kooperation mit dem Sozialdienst katholischer Frauen (SkF) haben wir im nächsten Schritt ein begleitetes Wohnangebot für haftentlassene Frauen konzipiert, das bei der Resozialisierung unterstützt. Seit 2022 haben wir fünf Zimmer als dezentrale Unterkunft für geflüchtete Frauen. Darüber hinaus betreibt der Fachbereich den Wohnverbund „Berscheba“ für Frauen mit psychischer Erkrankung sowie das Projekt „Frauenobdach Plus“ im Sankt Raphaelsheim.
Und all diese Angebote haben Sie entwickelt?
Nicht alle, aber viele dieser Angebote habe ich mit- und vor allem auch weiterentwickelt. Aber ich möchte ganz klar betonen: Das alles ist nur möglich, weil ich ein fantastisches Team habe und mit Ute Berger eine unglaublich engagierte Stellvertreterin und sehr kompetente Leiterin des Wohnverbundes „Berscheba“. Wir pflegen im Fachbereich ein sehr gutes Miteinander. Das wurde mir bei der Abfahrt nach München wieder deutlich. Plötzlich stand da mein gesamtes Team am Bahnsteig und hat mich und Schwester Katharina Ganz mit dem Lied „Wer liebt, läuft, fliegt“ verabschiedet. Das war sehr emotional und bewegend. Am liebsten hätte ich alle mit zur Preisverleihung genommen. Denn nur gemeinsam ist diese Arbeit möglich.
Hat sich Ihre Arbeit in den Jahren verändert, wenn ja, inwiefern?
Auffallend ist, dass wir seit Sommer 2022 bei der Kurzzeitübernachtung eine wesentlich höhere Anfragesituation haben. Auch die Stadt weiß nicht mehr, wo sie wohnungslose Menschen unterbringen soll. Das liegt sicherlich daran, dass die Notsituationen größer geworden sind. Zudem hat die Pandemie Frauen viel länger an Orten gehalten hat, an denen sie sonst nicht geblieben wären. Und: Die Geldmittel sind unglaublich knapp. Es gibt sehr viele Frauen, die in der letzten Monatswoche kaum noch über die Runden kommen.
Der Einsatz für Menschen am Rande der Gesellschaft ist mit vielen Hürden verbunden. Was motiviert Sie, dranzubleiben?
Ich bin eine Kämpferin. Etwas geht erst dann nicht, wenn es bis zu Ende gedacht ist und alle Möglichkeiten ausgeschöpft sind. Ich gehe den Weg bis zum Ende. Und dabei bin ich durchaus auch unbequem, der Stachel im Fleisch. Und: Ich habe eine Trägerin im Rücken, für die ich sehr gerne arbeite. Die Oberzeller Schwestern sind charismatische Frauen, die uns einen sehr großen Rückhalt geben. Ich stehe also keineswegs allein da.
Haben Sie ein Vorbild für Ihren Einsatz?
Ordensgründerin Antonia Werr lebte aus dem Glauben heraus, dass Gott in Jesus Mensch geworden ist und jeder Mensch Kind Gottes ist – einzigartig, gewollt und mit einer unveräußerlichen Würde. Aus dieser Haltung schöpfen wir als Team Kraft und Orientierung. Und an diese Haltung und diesen Gründungsauftrag knüpfen wir bewusst an.
Wenn Sie einen Wunsch frei hätten, dann ...
... würde ich mir wünschen, dass die räumliche und personelle Ausstattung in der Wohnungslosenarbeit verbessert wird. Dass in der Gesetzgebung Menschen in benachteiligten Lebenssituationen stärker berücksichtigt werden. Denn Menschen, die ihre Wohnung verloren haben, fallen oft hinten runter. Neun von zehn Obdachlosen leiden unter psychischen Erkrankungen, das wird oft einfach vergessen. Ich wünsche mir, dass es eine Krankenversicherung für alle Menschen gibt, auch für diejenigen, die in keinem sozialen System sind. Das muss doch in unserer Gesellschaft möglich sein.
Verändert der Preis etwas für Sie, Ihre Arbeit, das Team?
Der Preis ist für uns alle eine Bestätigung. Bestätigung, dass diese Arbeit sich lohnt und wichtig ist. Unsere Arbeit ist zwar nicht immer einfach und es braucht oft einen sehr langen Atem, bis wir das Vertrauen der Menschen gewinnen können. Aber sie ist vor allem ungeheuer bereichernd. Manche Frauen haben geweint, als sie das erste Mal ihr Zimmer im generalsanierten Haus Antonia Werr gesehen haben. Sie konnten kaum glauben, dass so ein gut ausgestatteter Ort für sie sein soll. In solchen Momenten weiß ich: Mein Beruf ist meine Berufung. Ich bin genau am richtigen Platz.
Interview: Anja Legge
Ellen-Ammann-Preis
Ellen Ammann (1870−1932) war eine katholische Aktivistin und Wegbereiterin der modernen Sozialarbeit. Sie gründete den Münchner Zweigverein des KFB und den Bayerischen Landesverband des KDFB, war Mitglied des Bayerischen Landtags und hatte wesentlichen Anteil an der Niederschlagung des Hitlerputschs 1923 in München.
Seit 2013 vergibt der KDFB Bayern alle zwei Jahre den Ellen-Ammann-Preis an Frauen, die soziale Ungerechtigkeiten abbauen und sich für Schwächere einsetzen. Der erste Platz ging heuer an Rali Guemedji aus Nürnberg (Verein „Fi Bassar“ und Klinikpatenschaft Nürnberg – Bassar/Togo). Auf den Plätzen drei, vier und fünf landeten Elke Reinhardt aus Schwarzhofen (Integrationsprojekt für Mütter im ländlichen Raum), Andrea Hopperdietzel aus Roth-Schwabach (Frauenhaus und Interventionsstelle Schwabach) sowie Margarete Winnichner aus Traunstein (Verein „Frauen für Mädchen“).