Liebe Schwestern und Brüder,
während der diesjährigen Fußballweltmeisterschaft werden wir sicherlich wieder begeisterte Zuschauer erleben, die ihrer Freude in den großen Laola-Wellen Ausdruck verleihen. Sie fassen sich dabei an den Händen und reißen sich von den Sitzen, wobei sie Begeisterungsrufe ausstoßen. So etwas wirkt ansteckend. Freude, gute Stimmung und Anteilnahme am Fußballgeschehen findet auf diese Weise einen Weg zu vielen anderen Menschen. Wir sprechen dabei von Begeisterung und meinen damit einen guten, frohen Geist, der die Menschen beflügelt.
Das heutige Pfingstfest feiert den Heiligen Geist, den Lebens- und Freudespender schlechthin. Und doch haben viele von uns Schwierigkeiten, den Heiligen Geist wahrzunehmen. Oft gewinnt man den Eindruck, dass uns Christen in Deutschland ein wenig die Begeisterung abhanden gekommen ist. Manches wirkt müde und zäh. Warum eigentlich?
Der Geist kommt sicherlich nicht – wie eben vom ersten Pfingsttag gehört – in Feuerzungen und Sturmesbrausen. Wir können ihn nicht sehen und doch ist er das Lebenselexier, wie uns die Bibel erschließt. Schon im ersten Satz des Schöpfungsberichtes heißt es: „Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde; die Erde aber war wüst und wirr. Finsternis lag über der Urflut, und Gottes Geist schwebte über dem Wasser.“ (Gen 1,1). Der Heilige Geist ist die schöpferische und belebende Macht des ganzen Universums. Er lenkt alles auf die große Vollendung des endzeitlichen Heiles hin.
So ist er die wirkende Kraft im Erlösungsgeschehen durch Jesus Christus: Angefangen mit seiner Empfängnis über Taufe, öffentliches Wirken, Erlösungssterben am Kreuz bis hin zu Auferstehung und Himmelfahrt. Jesus hat ausdrücklich darauf hingewiesen, dass er uns den Heiligen Geist senden werde; „Dies habe ich zu euch gesagt, während ich noch bei euch bin. Der Beistand aber, der Heilige Geist, den der Vater in meinem Namen senden wird, der wird euch alles lehren und auch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe.“ (Joh 14,26)
Aber auch die Geschichte eröffnet uns die Wirkmächtigkeit des Heiligen Geistes. Schauen Sie nur unseren Würzburger Dom an: Er entwickelte sich im frühen Mittelalter aus den Anfängen der Romanik in klaren Maßen und Konturen. In der Gotik und Renaissance wurden prächtige Grabepitaphe als Glaubenszeugen an die Auferstehung hinzugefügt. Der Barock ummantelte Pfeiler und Gewölbe mit reich geschmücktem Dekor, fügte eindrucksvolle Altäre mit großartigem Bildprogramm hinzu und öffnete so einen Blick in den Lichtstrahl des Himmels. Der Zweite Weltkrieg brachte Tod und Zerstörung auch in diesen Dom. Der Wiederaufbau lässt die Spuren der Zerstörung als Mahnung sichtbar, fügt aber im Chorraum um den wiederkehrenden Weltenrichter den Reigen heiliger und heiligmäßiger Frauen und Männer ein, in denen das Wirken des Heiligen Geistes aufleuchtet.
Aber auch im Alltag können wir das Wirken des Heiligen Geistes erfahren. Einmal konnte ich zehn Tage meines Urlaubs in einem Behindertenheim verbringen. Dort leben geistig und körperlich behinderte Menschen von Minderbrüdern betreut. Morgens wurden die leichter Behinderten mit Kleinbussen in eine beschützte Werkstatt gefahren. Die Zurückbleibenden verabschiedeten die Abreisenden, als ob sie auf Weltreise gingen. Eine Welle der Begeisterung begleitete den Abschied. Abends der gleiche Empfang: Vorfreude bei den Zurückgebliebenen machte sich in Händeklatschen und Jubelrufen bemerkbar. Dann folgte eine stürmische Begrüßung, Händedrücken, Liebhalten, behutsames ins Haus Begleiten.
In unserem Leben machen wir alltäglich neue Geistes-Erfahrungen: in Menschen, die alles um der Liebe Gottes willen aufgeben: Heimat, Familie, Erfolg. In Menschen, die über ihren Schatten springen und vorurteilsfrei lieben, die wirklich verzeihen und nicht nachtragen, die helfen ohne ein Danke zu erwarten, die Gott gegenüber die Treue bewahren, obwohl sie in einer Glaubenskrise stecken.
Der Heilige Geist ist wie Licht in der Nacht, wie Feuer im Eis, wie Ruhe im Sturm, wie Kühlung in der Hitze, wie Rettungsanker in jeder Not.
Aus all dem wird deutlich, dass nicht die äußere Erscheinung wichtig ist, sondern die Wirkung! Ich kann den Heiligen Geist nicht sehen, aber seine Wirkung erfahren.
Bei den Aposteln besteht die Wirkung darin, dass sie aus ängstlichen Menschen zu begeisterten Verkünder der Frohen Botschaft werden. Zuerst hatten sie sich eingeschlossen und trauten sich nicht unter die Menschen. Dann gingen sie auf die Straßen und verkündeten den Augen- und Ohrenzeugen der Geschehnisse um den Karfreitag das Wunder der Auferstehung! Sie sprachen so, dass jeder sie verstanden hat. Eine Handvoll Menschen zog in die Welt hinaus und predigte Christus als den Erlöser. Von da an ging die Frohe Botschaft um die Welt.
Die Ereignisse um das Sterben Papst Johannes Paulus II., die Wahl des neuen Heiligen Vaters Papst Benedikts XVI. und der Weltjugendtag im vergangenen Jahr sind außergewöhnliche Höhepunkte der Geisteserfahrungen in unseren Tagen. Gleiches gilt für den jüngsten Besuch des Papstes in Polen mit dem Aufsuchen von Auschwitz, einem Ort, an dem der Widerpart des Heiligen Geistes Menschen quälte und vernichtete.
Die Früchte des Heiligen Geistes sind vielfältig:
Sie ermöglichen Liebe, Gerechtigkeit und Friede im ganz konkreten Sinne. Sie sind auf Ausgleich, Anteilnahme und Mitfreude ausgerichtet. Sie machen erst das Leben hell und lebenswert.
Der Heilige Geist wirkt heute genau so wie am Pfingstfest. Er wirkt bei jedem einzelnen von uns ebenso wie bei den Frauen und Männern des Pfingstfestes. Sind wir bereit für das Wunder seines Wehens?
Die kürzlich verstorbene Dichterin Hilde Domin, deren großes literarisches Werk einmal als „zarte Worte mit Widerhaken“ bezeichnet wurde (Die Tagespost, 27.05.06), formulierte in einem Gedicht: „Nicht müde werden / sondern dem Wunder leise / wie einem Vogel / die Hand hinhalten.“
Die Welt braucht den Heiligen Geist. Wir sehnen uns alle nach seinen Früchten. Warum lassen wir ihn nicht durch uns wirken? Amen.
(2306/0829)