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Gesellschaft im Gärungsprozess

Predigt von Bischof Dr. Friedhelm Hofmann beim Gottesdienst anlässlich der Generalversammlung der Görres-Gesellschaft am Sonntag, 28. September, im Kiliansdom

Unser Bistum Würzburg freut sich über die Generalversammlung der Görres-Gesellschaft hier in der Domstadt. Vor genau 130 Jahren wurde am 100. Geburtstag von Joseph Görres, dem Vorkämpfer staatsbürgerlicher und kirchlicher Freiheitsrechte, diese Gesellschaft ‚zur Pflege der Wissenschaft’ gegründet. Sie hat sich zur Förderung des wissenschaftlichen Austauschs mit den naturwissenschaftlichen und geisteswissenschaftlichen Disziplinen auf dem Boden des Christentums verpflichtet und damit im heutigen Umwandlungsprozess eine wichtige Aufgabe übernommen. Sie fördert den Dialog von Naturwissenschaften und Theologie ebenso wie den wissenschaftlichen Nachwuchs.

Dies ist umso wichtiger, als sich die Gesellschaft weltweit in einem Gärungsprozess befindet, der die uns überkommenen christlichen Wertvorstellungen – zumindest teilweise – in Frage stellt.

Eine mögliche Ursache, diesen Werten – wie sie uns der Dekalog und die Evangelien vorgeben – nicht mehr zuzustimmen, kann die Vorstellung von vermeintlicher Wertefreiheit der Wissenschaft sein. „Man spricht von der Implementierung von Normen als Orientierungsmaßstäben und darüber, dass es sich bei Werten um die Internationalisierung von Vorstellungen über das Wünschenswerte handelt.“ Was aber ist ‚wertvoll’, was ‚wünschenswert’?

Es fehlt nicht an gewichtigen Stimmen, die darauf hinweisen, dass die objektive Begründung des Rechts deshalb so schwierig sei, weil sie auf die in der Gesellschaft subjektiv vorhandenen Wertauffassungen zurückgehe . Das Problem besteht darin, dass sich innerhalb derGesellschaft Wertvorstellungen nach eigenem Gutdünken bilden und verändern. Wir können unschwer feststellen, dass sich innerhalb der beiden letzten Generationen die Vorstellung von dem, was ‚Werte’ sind, erheblich gewandelt hat. Hieß es in der Herder-Enzyklopädie von 1928/35 im Blick auf die menschliche und sittliche Würde: „Aber alle Werte überragt und durchdringt das Religiöse und Heilige. Endgültiger Maßstab der Wertschätzungen des Menschen ist zuletzt der Wille des Schöpfers.“, so versucht man heute ‚Werte’ aus der Rationalität und Logik herzuleiten. Der geradezu manchmal an Naivität grenzende Glaube an die Neutralität und den Segen der Wissenschaft wird als der Königsweg angesehen. Wissenschaftliche Vernunft kann aber keine ethischen und sozialen Werte schaffen. „Der Frage der Naturwissenschaften ,was ist der Mensch’ stellen die Geisteswissenschaften die Frage gegenüber ‚wer ist der Mensch’.“ Ethische Werte können nicht allein mit einer vermeintlichen einsichtigen Logik oder einer wissenschaftlichen Rationalität gefunden und begründet werden. So sind die uns im jüdisch/christlichen Glauben vorgegebenen und erprobten Werte Grundlagen, auf denen die Menschheit eine tragfähige gemeinsame Zukunft gestalten kann. Jenseits diktatorischer und auch demokratischer – per Abstimmungen – veränderbarer Rechtsgrundlagen ist hier ein Wertefundament der Verfügbarkeit menschlichen Zugriffs entzogen und damit beständig.

So sehr die Politik auf ethische Grundlagen angewiesen ist, so wenig kann sie diese selbst hervorbringen. Ethische Grundlagen, sprich der Wertekanon, ist dem Menschen vorgegeben und nicht von ihm selbst gemacht.

Gerade innerhalb der heutigen Entwicklung, die sich aus der Globalisierung und dem technischen Fortschritt, der Individualisierung und dem demographischen Wandel ergibt, sind wir Christen aus unserer Grundhaltung heraus aufgerufen, nicht gegen die anderen, sondern nur mit den anderen, die gegenwärtigen Risiken zu bewältigen. Diesem Anliegen hat sich die Görresgesellschaft verschrieben. Dem dient auch heute ihr Engagement.

Am heutigen Sonntag ruft uns gleichsam der Völkerapostel Paulus im Brief an die Philipper zu: „…macht meine Freude dadurch vollkommen, dass ihr eines Sinnes seid, einander in Liebe verbunden, einmütig und einträchtig.“ (Phil 2,2)

Was für uns Christen eigentlich selbstverständlich sein sollte, aber auch in der jungen Kirche stets angemahnt werden musste, ist die Erkenntnis, den Nächsten ebenso zu lieben wie sich selbst. Paulus ruft uns auf, im Blick auf Jesus Christus die Maßstäbe für das eigene Denken und Tun zu gewinnen. Er verweist darauf, dass Christus Jesus – obwohl er immer schon Gott war – dennoch in unsere geschöpfliche Wirklichkeit eintrat, gleichsam also ‚hinabstieg’, sich entäußerte, wie ein Sklave und den Menschen gleich wurde (vgl. Phil 2,7). Wie müssen wir dann erst recht im Blick auf Jesus Christus, den Gekreuzigten, bereit sein, in Demut den anderen höher einzuschätzen als uns selbst (vgl. Phil 2,3). Die Wertmaßstäbe des Glaubens bauen auf einer anderen, tieferen Sicht von Wirklichkeit auf. Die Liebe Gottes zu uns sollte der Maßstab unseres Denkens und Handelns werden. So wird dann auch unsere gelebte Liebe der Maßstab unserer Glaubwürdigkeit sein. Dafür ist auch die heutige Generation aufgeschlossen und sensibel.

Gott lässt – wie wir in der Lesung aus dem Buch Ezechiel hörten – seiner nicht spotten. Eindringlich fordert uns der Prophet auf, das Verhalten Gottes kennen und schätzen zu lernen. Nicht weniger als das ewige Leben ist davon berührt.

So ist jegliches christliche Engagement, die Liebe Gottes zu uns an den Nächsten weiter zu geben, ein bleibender Auftrag, den jeder – nach seinen Möglichkeiten – erfüllen kann. Das darf bei uns weder zu Überheblichkeit noch Stolz führen. Es ist lediglich konsequent.

Der bildende Künstler Georg Meistermann, der auch hier in Würzburg einige großartige Werke hinterlassen hat, sagte einmal in einem Interview, dass er mit seiner künstlerischen Arbeit dem Herrn nur die Zinsen zurückzahle, die er durch die Gaben Gottes erhalten habe. Wie viel mehr dürfen wir durch unseren Einsatz die Liebe Gottes verbreiten, die er uns geschenkt hat.

Amen.