Ihre Geschichte reicht je nach Version rund tausend Jahre zurück. Und trotzdem ist die Aachener Printe nicht von gestern. Im Gegenteil. „Die klassische Printe ist ein veganes Produkt“, klärt Andreas Klein auf. Er muss es wissen. Schließlich leitet der 41-Jährige in vierter Generation die Printenbäckerei Klein. Die Zutaten sprechen für sich: dunkles Weizenmehl, Typ 1050, Farin- und Kandiszucker, Zuckersirup, dazu Anis, Koriander, Nelken, Zimt. Das Mischverhältnis: geheim. Rund 30 Unternehmen produzieren in Aachen und im Aachener Umland die Spezialität, die seit 1997 als „geschützte geografische Angabe“ durch die EU anerkannt ist. Das Spektrum reicht vom Großanbieter Lambertz bis hin zu Cafés. Die Kleins sind die einzigen, die ausschließlich und das ganze Jahr über Printen herstellen. Moment – tatsächlich das ganze Jahr über? „Aber natürlich“, sagt Andreas Klein und lächelt nachsichtig. Denn der Aachener löst beispielsweise seine Printe in der Soße zum Sauerbraten auf. Ein klassisch-deftiges rheinisches Gericht, das nicht nur zur Weihnachtszeit auf den Tisch kommt. Aber, so räumt Klein ein, die Hauptsaison sei dann doch zwischen September und Dezember. Dann werden aus fünf Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Produktion 13, die von Montag bis Freitag im Schichtbetrieb „Kräuter-Moppen“, „Kräuter-Nuss-Printillos“, „Printenkonfekt“ und sonst noch allerlei herstellen, was Liebhabern weihnachtlicher Gaumenfreuden das Wasser im Munde zusammenlaufen lässt.
Auf Hochtouren
In der verwinkelten Backstube in der Franzstraße laufen die Maschinen auf Hochtouren, sitzt jeder Handgriff. Knethaken bearbeiten in großen Trommeln die zähe braune Printen-Rohmasse, bevor sie für mehrere Tage kühl gelagert wird. Nur ein paar Schritte weiter stanzt eine Formwalze kleine Brocken für die „Kräuter-Moppen“ aus dem Teig. Auf dem Stikkenwagen nebenan, einer Art rollendem Regal, stapelt sich auf Backblechen ein kleiner Teil der Tagesproduktion an „Kräuter-“ und „Prinzess-Schnitt-Printen“, die gleich in die großen Öfen wandern – für 15 bis 20 Minuten bei 200 Grad. Die noch heißen Backwaren werden zwei Mitarbeiter wenig später mit Zuckerguss oder sogenanntem Kräuterlack bestreichen. Für die 40 Bleche pro Stikkenwagen haben sie etwa zehn Minuten Zeit. Sonst bleibt die Glasur nicht haften. So duldsam und haltbar die Printe in der Lagerung ist – bei der Produktion verzeiht sie weder Trödelei noch Müßiggang.
Den Überblick über das Gewusel in der Backstube zu halten, ist Aufgabe von Betriebsleiter Thomas Merkelbach. Der gelernte Einzelhandelskaufmann ist 2011 zum Team der Printenbäckerei Klein gestoßen. „Eher zufällig“, wie er sagt. Bereut hat er den Schritt zu keiner Zeit. Wer hat auch schon das Privileg, das ganze Jahr über in einer Weihnachtsbäckerei zu arbeiten? Der eigene Konsum hält sich allerdings in engen Grenzen, wie Merkelbach betont. Die Versuchung, hier und da vom Teig zu naschen, ebenfalls. „Ich bin generell kein Süßer.“ Das unterscheidet ihn von den Kundinnen und Kunden, die sich vorne im Verkaufsraum drängen. Hier stapeln sich die Köstlichkeiten bis unter die Decke. Nebenan im Lagerraum warten „Konfektwürfel“, Kennenlernmischungen oder Panoramapackungen auf den Versand in alle Welt. An der Wand hängen „Holzmodel“, kunstvoll geschnitzte Hohlformen etwa in Gestalt von Herzen, Harlekinen oder Hauben tragenden Frauen, in die der Teig früher gepresst wurde. Laut Werner Setzens „Aachener Printenbrevier“ nimmt die Bezeichnung „Printe“ auf diesen Vorgang sprachlich Bezug. Dieser werde in den benachbarten Niederlanden mit „prent“, im Englischen mit „print“ umschrieben. Gleichzeitig gehört die Printe dadurch in die Kategorie der „Gebildebrote“ – ganz so wie ihre tausend Jahre alten Urahnen, die „Couques“ aus Dinant. Bis auf den heutigen Tag ist die Printe nicht nur in eckiger Darreichungsform verfügbar, sondern beispielsweise auch als Aachener Dom oder als Osterhase. Und natürlich gab es Sondereditionen zur diesjährigen Aachener Heiligtumsfahrt. Wie genau die „Couques“ aus Dinant allmählich zu „Printen“ wurden, lässt sich nicht mehr mit Gewissheit rekonstruieren.
Den letzten Schliff von Napoleon
Andreas Klein hält es für wahrscheinlich, dass in der Mitte des 17. Jahrhunderts Bronzegießer und Zuckerbäcker aus der belgischen Stadt an der Maas ihre Kenntnisse in Deutschlands westlichste Großstadt brachten. Den letzten Schliff soll der Printe kein Geringerer als der französische Kaiser Napoleon verpasst haben. Mit seiner Kontinentalsperre wollte er 1806 die Einfuhr englischer Handelsgüter unterbinden. Dazu zählte auch der bis dahin fü̈r die Printenherstellung genutzte Rohrzucker. Fieberhaft fahndeten die Aachener nach Alternativen. Und wurden in dem aus der Zuckerrübe gewonnenen Süßstoff fündig. Bleibt abschließend noch die Frage zu klären, wie die Printe zu verzehren ist. Der Aachener isst sie laut Bäcker Klein hart und tunkt sie in Kaffee, Kakao oder Tee. Wer es weicher mag, lässt die Printe eine Zeit lang an der frischen Luft liegen. Oder gönnt sich eine von Schokolade umhüllte Weichprinte. Einziger möglicher Nachteil: Die ist in den Varianten weiße und Vollmilch-Schokolade dann nicht mehr vegan.
Joachim Heinz/KNA