17.58 Uhr. Als ich den Fernseher einschalte habe ich kurz das prickelnde Gefühl wie an einem Silvesterabend. Ein Kribbeln und Flirren ist spürbar. Es ist Sonntag, der 23. Februar. Wahltag. Zur vollen Stunde flackern Prognosen über den Bildschirm. „Die da oben“ machen sich zu Stellungnahmen bereit. Im Gottesdienst morgens wurde gebetet: für die Menschen, die sich zur Wahl stellen, für Fairness, für ein demokratisches Verhalten. Bei mir stellt sich eine gewisse Erleichterung ein, denn von Ausfälligkeiten habe ich bisher noch nicht gehört. „Gott sei Dank“ – und das meine ich so!
Ich überlege, wie eng das persönliche Leben mit dem politischen verbunden ist. Wie haben Sie das erlebt? Haben Sie geredet in der Familie, unter Kolleginnen, mit Freunden? Den Wahl-O-Mat genutzt? Duelle gesehen und Gesprächsrunden gehört? Sich über Äußerungen ausländischer Politiker gefreut oder auch geärgert? Und nun? Alles vorbei? Nein – jetzt geht es von Neuem los. Möglichkeiten werden ausgelotet. Ansprüche gestellt. Konsequenzen gezogen. Und auch ich – was verändert sich in mir? Weiß ich alles besser, schimpfe auf „die da oben“? Wie setze ich mich persönlich für unsere Gemeinschaft, unsere „polis“ ein?
Am Wahlabend jedenfalls bin ich dankbar für die friedliche Stimmung, für weitgehend faires Verhalten und für eine hohe Wahlbeteiligung. Rund 83 %! So hoch wie bei seit der Wiedervereinigung nicht mehr. Da ist keine Demokratiemüdigkeit erkennbar! Meine Dankbarkeit hat einen Adressaten: als Christin wende ich mich mit meinem Dank an Gott. Denn ich spüre, dass ich diesen Einen über mir brauche, dem ich danken will, zu dem ich klagen darf, den ich fragen kann und zu dem ich voller Freude singe - einfach weil Er ist, was Er ist: Gott.
Ich bin froh, durch meinen Glauben jemanden an meiner Seite wahrzunehmen, der mir - unverfügbar wie Er ist - zwar keinen Wunsch-Wahlausgang beschert, aber mich mit den Realitäten umgehen lässt. Der mir zwar Leid nicht erspart, aber bei jeder Entscheidung an meiner Seite bleibt. Den ich zwar oft erst im Rückblick verstehe, der mir aber an jedem neuen Tag ein Wort zuspricht.
„Die da oben“, so reden wir manchmal über Politiker. Ist das positiv und respektvoll gemeint? Was denken Sie? „Der Eine da oben“ jedenfalls – der hat jedes Lob verdient. Er zeigt mir am Wahltag und im Alltag eine weitere Dimension: die Vertikale in meinem Leben. Wenn ich auf der Horizontalen keinen Durchblick mehr habe, dann bringt mir die Vertikale, der Blick zu Gott, eine weitere Sicht. Und dann staune ich, dass Er mir in Jesus Christus auch in der Horizontalen, im Leben als Mensch begegnet. In Johannes 1,14 lese ich dazu: „Er, das Wort, wurde ein Mensch, ein wirklicher Mensch von Fleisch und Blut.[...] Gottes ganze Güte und Treue ist uns in ihm begegnet.“ „Der da oben“ hat Gutes im Sinn. Und Er hat den vollen Durchblick. Darauf vertraue ich. Worauf vertrauen Sie?
Carolin Esgen, Prädikantin im Evang.-Luth. Dekanat Lohr