Hinweis

Ihre Browserversion wird leider nicht mehr unterstüzt. Dies kann dazu führen, dass Webseiten nicht mehr fehlerfrei dargestellt werden und stellt ein erhebliches Sicherheitsrisiko dar. Wir empfehlen Ihnen, Ihren Browser zu aktualisieren oder einen der folgenden Browser zu verwenden:

14. Sonntag im Jahreskreis, LJ A, 9.7.2023, Aschaffenburg

Der Glaube an Jesus gibt Orientierung

Günter Dehn war 24 Jahre Bürgermeister der Stadt Aschaffenburg. Von Kindesbeinen an war er in der Kirche verwurzelt. Aus Anlass seines 90. Geburtstags wünschte er sich einen Dankgottesdienst – als Pfadfinder von Jugend an – unter freiem Himmel. Domkapitular Clemens Bieber betonte vor dem Hintergrund der aktuellen politischen Turbulenzen die Bedeutung einer klaren Orientierung. Er verwies auf die Einladung Jesu im Tagesevangelium von IHM zu lernen.

Die Predigt im Wortlaut:

Turbulente Zeiten, die wir erleben: Das Bundesverfassungsgericht stoppt die Abstimmung über das sogenannte „Heizungsgesetz“. Die Debatte im Parlament um eine Abstimmung läuft aus dem Ruder und zieht ein Ordnungsgeld für die Entgleisung eines Abgeordneten nach sich. Innerhalb der Regierung gibt es heftige Debatten zur sogenannten „Kindergrundsicherung“. Der Bundestag findet zu keiner einvernehmlichen Lösung in der Frage der „Suizidhilfe“.
Das sind fürwahr keine Bagatellfragen: Es geht um die Herausforderung der Klimawende. Es geht um die entscheidend wichtige soziale Aufgabe einer guten Grundlage, auf der Kinder und Jugendliche ins Leben hineinwachsen können. Und schließlich steht das Thema „Lebensschutz“ auf dem Spiel. Das alles braucht eigentlich eine Kultur des sachlichen Umgangs miteinander in der Diskussion.

Die Zerrissenheit im Deutschen Bundestag spiegelt für mich aber die Situation in der Bevölkerung unseres Landes wider. Vor einer Woche wurde in der WELT die Vorsitzende einer der noch großen Parteien in unserem Land zitiert: „Die Menschen sind hochgradig ermüdet und verunsichert.“ Dazu mein Kommentar: Das ist zum einen die Folge, wenn rund um die Uhr zur Erheiterung des Publikums vorgeführt wird, wie man sich gegenseitig niedermacht. Zum anderen ist es die Folge davon, dass den Menschen alle Leitplanken und alle seit Generationen überkommenen Lebensgewohnheiten und Rituale im Jahreslauf, alle gewachsene Haltungen im Umgang mit dem Leben nicht nur in Frage gestellt, sondern genommen werden, Das betrifft ganz stark die gewachsene Familie, die als Rückhalt in Zweifel gezogen wird. Dann wundert es nicht, wenn die Versicherung zunimmt.
Ganz offen sprechen nicht nur junge Politiker vom „Umbau“ der Gesellschaft. Mir scheint, dass dabei nur eins klar ist: Alles muss anders werden! Aber keiner weiß wirklich wie!

Der Druck dazu wird erhöht durch tagesaktuelle Umfragen. Mit ihnen werden momentane Stimmungen zu verbindlichen Trends hochstilisiert und dann auch entsprechend über die Medien kommentiert. Ebenso werden in Talk-Shows selbst wichtige, sehr komplexe Zusammenhänge oft sehr oberflächlich und mit Floskeln umschrieben und gedeutet. Mit bestechender Rhetorik und geschickter Argumentation wird dabei versucht, Menschen zu vereinnahmen und den Leuten die eigene Sicht der Dinge, die eigene Ideologie klarlegen und einprägsam zu vermitteln. Damit versucht man/frau sich selbst ins bessere Licht zu rücken und den politischen Gegner zu diskreditieren.

Das wiederum überträgt sich inzwischen auf die Straßen bzw. die Plätze unserer Städte und sogar Gemeinden. Doch je lauter die Proteste werden gegen alles Mögliche – ja sogar gegen den Bau von sozialen Einrichtungen in Wohngebieten, also in der eigenen Nachbarschaft – desto mehr zweifle ich. Geht es wirklich um die besseren, menschlicheren, sozialeren, zukunftsweisenden Konzepte für die Probleme, Herausforderungen und Weichenstellungen unserer Gesellschaft – oder geht es um Eigennutz oder die eigene Ideologie?

Was aber geschieht eigentlich mit den Menschen, mit ihren Befürchtungen, mit ihren Sorgen und Ängsten? Was geschieht mit der differenzierten Betrachtung der vielschichtigen und komplexen Situationen und Zusammenhänge von Menschen und den gesellschaftlichen Strukturen? Was geschieht mit der Unsicherheit im Blick auf die wirtschaftliche Entwicklung und damit verbunden dem Wohlergehen bzw. Wohlstand für möglichst alle Menschen? Wie steht es um die allgemein verbindlichen Grundsätzen, die das Zusammenleben ermöglichen? Was ist mit dem Blick für den Einzelnen? Was geschieht mit der unverzichtbaren Solidarität?

Das Vertrauen, dass es darum geht, bestmögliche Lösungen für die Gesellschaft zu gestalten, wird zudem belastet durch immer neue Skandalmeldungen. Wir wissen alle um die verheerende Wirkung von sogenannten „Fake-News“, wodurch Menschen erledigt werden können. Ich meine jetzt aber tatsächlich fragwürdige Verhaltensweise wie z.B. Fehlentscheidungen in der Politik, die die Allgemeinheit viel Geld kosten, ohne dass jemand Konsequenzen fürchten muss. Es geht um persönliche Vorteile und Eigennutz bis hin zur sogenannten Vetternwirtschaft – und zwar in der Politik und in der freien Wirtschaft. Auf allen Ebenen scheint es – trotz aller schon bekannt gewordener Ungereimtheiten – unaufhörlich immer neue Vorkommnisse zu geben. Dadurch werden berechtigte Zweifel genährt, dass es leider nicht um Möglichkeiten geht, die den Menschen helfen, um damit eine sozial gerechte Gesellschaft voranbringen, sondern vielmehr darum, dass es vor allem um den eigenen Vorteil oder die eigene Ideologie geht.

Diese Verunsicherung bringt einen Teil unserer Bevölkerung dazu, dass sie sich den politischen Rändern zuwenden. Am diesem Freitagabend habe ich mit zwei jungen Männern diskutiert, die ich vor etwa 35 Jahren getauft habe. Beide ärgern sich über die Massivität, wie sie es empfinden, mit denen sie gezwungen werden sollen, z.B. ihre Essensgewohnheiten zu verändern, oder dass sie auf ihrem Weg zur Arbeit durch Straßenblockaden zu weiten Umfahrungen genötigt werden.

In unserem Land, ich möchte sagen in Europa, sind wir weit entfernt, von dem was das lateinische Sprichwort sagt: „Quidquid agis, prudenter agas, et respice finem.“„Was du auch tust, tue es klug, bedenke das Ziel, das Ende.“
Wir leben in einer schnelllebigen, deutlicher gesagt: in einer kurzlebigen Zeit. Das Durchschnittsalter mag immer weiter steigen, aber uns geht mehr und mehr verloren, was unserem Leben Halt, Sicherheit, Geborgenheit, Vertrautheit schenkt. Was heute als neue Weisheit verkündet wird, ist morgen schon überholt. Uns fehlt die Stabilität, der feste Boden unter den Füßen. Wen wundert es, dass sich zunehmend mehr Menschen überfordert fühlen.

Im heutigen Evangelium erleben wir Jesus, der die vielfache Not der Menschen, gerade auch die Not der kleinen Leute wahrnimmt, ihre Belastungen und Sorgen, ihre Ängste und Aussichtslosigkeiten. Jesus entwickelt aber keine Strategien, sondern er macht sich die Last der Menschen zu eigen. Er lädt die Menschen ein: „Kommt alle zu mir, die ihr euch plagt und schwere Lasten zu tragen habt.“
Und in dem Gebet, das uns der Evangelist Matthäus überliefert, fällt auf, dass Jesus sehr wohl registriert, wer sich auf seinen Weg im Umgang mit dem Leben und seinen Nöten einlässt und wer nicht. Während Belastete zu ihm kommen und ahnen, dass er einen guten, den besten Weg zum Leben aufzeigt, wenden sich die scheinbar klugen Strategen, die Ideologen der Welt von ihm ab. Sie wollen offenbar nicht von Jesus zum Nachdenken gebracht werden, zum Nachdenken darauf, worauf es im Leben ankommt, wie die Menschen neues Vertrauen und neuen Mut schöpfen können, wie sie zu einem menschenwürdigen Leben und zu einem aufrichtigen, solidarischen Miteinander finden.

Es ist nicht einfach, sich auf Jesus und seinen Weg zum Leben einzulassen. Es geht ihm nicht darum, ein Schlaraffenland mit garantierter Grundversorgung zu versprechen. Jesus gebraucht dabei das Bild eines Joches. Wir kennen es aus der Vergangenheit der Landwirtschaft. Durch das Joch wurden die Arbeitstiere auf dem Feld zusammengehalten und sie konnten damit  immer wieder angetrieben werden.

Während Jesus vor dem Joch warnt, in das die Menschen ein ums andere Mal eingespannt werden, empfiehlt er SEIN Joch. Es ist eben nichts, was Menschen unterdrückt, es bedeutet keine untragbare Arbeitsbelastung, keine Fremdbestimmung, auch nichts, was dem Wesen und der Würde des Menschen zuwider wäre, sondern es führt letztlich in die Freiheit und zum Leben.
So wie Jesus sein Joch hier an dieser Stelle im Evangelium beschreibt, wird allenfalls deutlich, dass er sich mit uns zusammenspannen lässt, und dass er uns in all unseren Nöten begleitet und unterstützt.
Den Weisen und Klugen bleibt diese Erfahrung verborgen, den scheinbar Unmündigen, die sich auf ihn einlassen, geht es auf: Jesus ist mit uns. Weil er mit uns ist, führt der Weg – auch durch alle augenblickliche Last hindurch – zum Leben.

Genau darauf käme es doch jetzt an, dass die Menschen spüren, dass es bei allen notwendigen Zumutungen und Belastungen letztlich darum geht, einen gerechten Weg zu finden und zu gehen, ein Weg, der möglichst alle weiterbringt. Es geht nicht darum, dass Einzelne sich ihrer Eigenverantwortung oder ihrer Mitverantwortung für andere entziehen. Es geht jetzt weder darum, Belastungen anzudrohen, noch darum so zu tun, als könnten alle Probleme ohne Zumutungen gelöst werden. Es geht um einen ehrlichen Umgang mit den Menschen, bei dem der Einzelne spüren kann, das er und seine Situation gesehen und nicht ungerechtfertigt belastet wird.

In einer so schwierigen Situation, in die wir uns ja selbst über Jahre hinweg hineinmanövriert haben, darf schon gar nicht durch ein überzogenes Anspruchsdenken und eine erschreckende „Abzock-“ bzw, „Geiz ist geil“-Mentalität der Verdacht der Ökonomisierung des Lebens und aller Lebensbereiche aufkommen. Schon gar nicht darf es zur Unterscheidung von wertem und unwertem Leben, oder etwa zur Frage kommen, wie viel ist uns z.B. ein alter Menschen wert, um in seine Gesundheit zu investieren.

Was vielen Menschen zu ihrem Glück – selbst in einfachen Lebensumständen – fehlt, ist das Gespür eines ehrlichen, und absichtslosen Interesses an ihrem Leben, an ihrem Menschsein. Viele Menschen fühlen sich mit ihren Fragen und Sorgen alleingelassen. Deshalb sollte jetzt nicht die Stunde der parteipolitischen Polemik sein, sondern die Stunde der Besinnung auf das Wesentliche, auf das Notwendige im Leben, auf die Grundprinzipien menschlichen Lebens.
Die Menschen sind auch fähig und bereit, Belastungen gemeinsam zu tragen, wenn sie nicht den Eindruck haben, dass andere sie ihnen aufbürden und sich selbst fein heraushalten.

Der auch durch die Medien befeuerte parteipolitische Klamauk sollte eher der ernsthaften Diskussion und Debatte um den richtigen Weg für unser Volk, um die Leitplanken und Wegmarken für das Leben weichen. Die Diskussion sollte nicht nur an ökonomischen, wirtschaftlichen Aspekten orientiert sein. Auch die ökologischen Fragen sollten, wie die sozialen und die Fragen des Lebensschutzes so diskutiert werden, dass spürbar wird, dass es um den verheißungsvollsten Weg zu einem menschenwürdigen Leben geht, so wie ihn uns Jesus aufgezeigt hat.

Deshalb noch ein Wort zu Dir, lieber Günter. Dieses Evangelium habe ich nicht im Blick auf Dein besonderes Geburtstagsfest ausgesucht. Es ist wie ein Wink des Himmels, dass die Leseordnung der Kirche für den Sonntag heute genau diese Wort Jesu vorsieht.
Du bist von Kindesbeinen an als Christ Deinen Weg durchs Leben gegangen und hast Dich sehr bald schon als Pfadfinder engagiert. Es ging Dir stets darum, Verantwortung für die uns anvertraute Welt, aber auch für die Mitmenschen zu übernehmen. Dein Beruf als Schreiner hat Dir dabei Exaktheit abverlangt. So geprägt hast Du ein halbes Jahrhundert im Rat der Stadt für Deine Heimat, für die Menschen engagiert. Orientierung gab Dir dabei stets Dein Glaube und die katholische Soziallehre. Und was wünschen wir denen, die heute in der politischen Verantwortung stehen: klare Orientierung!

Wenn wir jetzt im Herbst wieder zur Wahl aufgerufen werden, dann ist ja bemerkenswert, dass wir unsere Entscheidung auf dem Stimmzettel immerhin mit einem Kreuz treffen. Genau das Kreuz ist doch das Zeichen für die große Sympathie Gottes und seine grenzenlose Liebe zu uns. Durch das Kreuz hat Gott deutlich gemacht, dass er sich für uns und für unser Heil, für unser Wohl unwiderruflich entschieden hat.

Das Kreuz macht deutlich, dass es nicht darum gehen kann, Vertrauen zu verlieren, oder gar Vertrauen zu entziehen. Es geht vielmehr darum, neues Vertrauen zu erweisen und Vertrauen zu schöpfen aus dem Gespür, dass alles als gleich gültig zu erachten ist. Und es geht auch um den besten Weg zum Leben – für den Einzelnen, für Familien, für die Gesellschaft, für ein gerechtes Miteinander in der Welt.

Je mehr die Menschen zur Einsicht gelangen, dass es im Leben und im Zusammenleben nie nur um den Eigennutz des Einzelnen gehen darf, sondern auch um die Haltung der Solidarität gerade mit den Schwachen; je mehr die Menschen dabei spüren, dass es nicht um Ideologie, nicht um national verengtes Denken und Agieren geht, sondern um ein friedvolles, gerechtes und menschenwürdiges Miteinander in der EINEN Welt, die immer näher zusammenrückt, desto mehr wenden sie sich von extremen und radikalen Haltungen ab. Dabei haben allerdings auch die Medien, die täglich auf die Menschen einwirken, eine große Mitverantwortung.

Auch jetzt gilt das berühmte Diktum von Ernst-Wolfgang Böckenförde: „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.“
Wir tun gut daran, gerade in turbulenten Zeiten, immer wieder – wie jetzt im Gottesdienst – bei Jesus zur Ruhe zu kommen, uns auf den Sinn und die Würde des Lebens zu besinnen, darauf, was den Menschen eigentlich fehlt. Dabei lernen wir von Jesus, der wie kein anderer weiß, worauf es im Leben und im Zusammenleben der Menschen ankommt.

Domkapitular Clemens Bieber
www.caritas-wuerzburg.de

Text zur Besinnung

Gott, mein Gott,
ich danke dir für die Stunden meines Lebens,
in denen das Herz weiß,
was sich dem Begreifen entzieht:

Es ist gut mit meinem Weg.
Ich entbehre manches,
aber ich bin nicht arm.

Du machst mich reich.
Du bringst zum Schwingen
die Stimmen der Verneinung in mir.

Du weckst mir Freude an kleinen Dingen
Und lehrst mich die Zeichen deiner Liebe erkennen.

Anbeten will ich
und dir zu singen meinen Dank!

(Autor unbekannt)