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Das Unmögliche tun - Charles de Foucauld

Predigt von Generalvikar Dr. Karl Hillenbrand am 21. September 2008 in Würzburg-Stft Haug beim 150. Jubiläum Charles de Foucauld

„Jesus ist der Meister des Unmöglichen.“ Dieses Wort aus den Aufzeichnungen von Charles de Foucauld (1858-1916) weckt in mir die Erinnerung an ein Gespräch während meiner Studienzeit vor gut 30 Jahren in Rom, als wir regelmäßig Kontakt mit den Kleinen Schwestern hatten, die sich auf ihn als ihren Gründer berufen. Bei einem Besuch fiel der Satz: „Eigentlich war er ein unmöglicher Mensch, der eine unmögliche Mission mit unmöglichen Mitteln durchführte.“ Ich gestehe, dass mich gerade diese Bewertung damals neugierig gemacht hat, dieser Persönlichkeit intensiver auf die Spur zu kommen. Ich habe bald gespürt, dass es ganz entscheidend darauf ankommt, wie man dieses Wort „unmöglich“ versteht. Ich lade Sie ein, mit mir der Faszination nachzuspüren, die Charles de Foncauld oder Bruder Karl, wie er weithin im deutschen Sprachraum genannt wird, auch 150 Jahre nach seiner Geburt auf viele ausübt, die auf der Suche nach Sinn sind.

1. „Ein unmöglicher Mensch“ lautete die Eingangsbemerkung in unserem damaligen Gespräch. „Ein unmöglicher Mensch“ - so sagen wir spontan, wenn sich jemand auffällig benimmt und die geltenden gesellschaftlichen Regeln missachtet. Auf Charles de Foucauld trifft dies zunächst voll zu: Nachdem er früh beide Eltern verloren hat, kommt er nach Paris, wird vom Jesuitengymnasium verjagt und stürzt sich mit 17 Jahren in sexuelle Abenteuer und rauschende Partys. In der elitären Offiziersschule, die er besucht, gilt er als fetter, fauler und frecher Lebemann. Als er 1880 nach Algerien beordert wird, das damals zu Frankreich gehörte, schmuggelt er seine Geliebte mit aufs Schiff und gibt sie als seine Ehefrau aus. Für diese Provokation fliegt er aus der Armee, wird aber später wieder aufgenommen. Auch nach dem endgültigen Abschied vom Militär, hat es ihm Nordafrika angetan: Er lernt arabisch, liest den Koran und bereist als russisch-jüdischer Wanderrabbiner verkleidet die Region, die für Europäer weitgehend verbotenes Gebiet ist. So kommt er auch nach Marokko, wo er geographische Forschungsberichte erstellt, für die er später eine wissenschaftliche Auszeichnung erhält. Sind die äußeren Stationen dieser Zeit schon aufregend genug, ist es der innere Weg nicht weniger: Als Jugendlicher verlor er die Religion seiner Kindheit. Erst die Begegnung mit der islamischen Frömmigkeit auf seinen Reisen weckt in ihm auf neue Weise die Frage nach Gott. Mit 28 Jahren fand er zum Glauben zurück. Während einer Pilgerfahrt durchs Heilige Land erschloss sich ihm die Person Jesu von Nazareth. Diese Entdeckung bestimmte sein weiteres Leben, das sich fortan als eine einzige Suche nach der richtigen Art der Nachfolge Jesu kennzeichnen lässt. Dabei war er ein leidenschaftlich Suchender: Sieben Jahre lebte er als Trappist, hauptsächlich in einem Kloster in Syrien, gut drei Jahre ganz zurückgezogen in Nazareth. Mit der Zeit wurde ihm klar, dass die Konsequenz der Liebe zu Jesus zwar eine Distanz zur Welt, aber nicht die Flucht aus ihr mit sich bringt. Die radikale Nachfolge führte Charles de Foucauld auf neue Weise zu den Menschen, insbesondere zu den Fernstehenden und Verlassenen. 1901 empfing er die Priesterweihe und brach in die Sahara auf, wo er versuchte, als Freund und Bruder der Nomaden zu leben. Am 1. Dezember 1916, während des 1. Weltkriegs, wurde er im Hoggar ermordet; er hatte sich geweigert, sein Leben in Sicherheit zu bringen, weil er seine Freunde nicht verlassen wollte. Ein unmögliches Leben ist dieser Weg jedoch nur von einer rein äußerlichen Betrachtung her. Aus der Sicht des Glaubens lässt sich dagegen sagen: Jesus hat sich als Meister des Unmöglichen, als Meister dieses unmöglichen Menschen erwiesen, indem er ihm stets nahe war, ihn führte, und ihn auch auf seinen Irrwegen nicht fallen ließ. In der Rückschau hat Charles de Foucauld dies erkannt, wenn er z. B. schreibt: „Ich lief in die Ferne, ich entfernte mich mehr und mehr von dir, mein Herr und mein Leben. Doch selbst in diesem Zustand hast du mich noch gehalten. Du ließest mich die Unruhe eines schlechten Gewissens empfinden, das doch nicht ganz tot war.“ Von dieser Erkenntnis her wird für ihn später die Gestalt Jesu, der seine niedergeschlagenen Jünger unerkannt auf dem Weg von Jerusalem nach Emmaus begleitet, ein wichtiger spiritueller Bezugspunkt. Wir können aus seiner Erfahrung die zuversichtliche Gewissheit mitnehmen, dass Jesus der Begleiter aller menschlichen Wege ist und keinen fallen lässt, dass er uns aber ebenso wie seinen Jüngern die Augen öffnen will für seine liebende Nähe. An Bruder Karl zeigt sich, dass es für Jesus keine „unmöglichen Menschen“ gibt, die er von sich aus aufgibt.

2. „Eine unmögliche Mission“, so setzte sich damals unserer Gespräch in Rom fort. Was ist damit gemeint? Ganz sicher dies, dass von den Voraussetzungen her Bekehrungen im klassischen Sinn - nämlich als Christianisierung weiter Kreise - gar nicht möglich waren. Was Charles de Foucauld viel mehr wollte, war eine Bezeugung des Evangeliums durch seine unaufdringliche Gegenwart und seine helfende Nähe, welche die Menschen ernst nimmt. Er schreibt: „Ich bin nicht hier, um die Tuaregs auf einen Schlag zu bekehren, sondern um sie zu verstehen zu suchen. Man kann mit ihnen nicht direkt von unserem Herrn sprechen; sie würden davonlaufen. Es muss erst eine Vertrauensbasis entstehen, man muss sich gegenseitig anfreunden.“ Es wäre also verkehrt, bei Bruder Karl den Weg in die Wüste als Rückzug zu deuten. Er setzte sich vielmehr auf ganz konkrete Weise dem Elend der Bevölkerung aus, in deren Mitte er lebte. Er griff in seinen Briefen und Botschaften die Bequemlichkeit der Reichen an und zeigte sich solidarisch mit dem Unglück seiner Weggefährten. Unaufhörlich suchte er Elend zu lindern. Die Heilsverkündigung des Evangeliums und die Heilung von Missständen gehörten für ihn untrennbar zusammen. Man hat in der späteren Deutung mitunter versucht, Charles de Foucauld deshalb als Vorläufer der Befreiungstheologie zu sehen, aber eine solche Deutung würde ihm nicht gerecht. Denn es ging ihm nicht um eine öffentlich-politische Wirksamkeit seiner Glaubenshaltung - seine Mission, seine Sendung sah er im Weg der verborgenen Hingabe, im Apostolat der Freundschaft. Es ging ihm darum, das Evangelium im Zeugnis des ganz alltäglichen Lebens darzustellen. Modell dafür war ihm eine oft übersehene Dimension im Leben Jesu, nämlich die Zeit des verborgenen Wirkens in Nazareth, die dennoch für sein späteres Wirken und Auftreten von überragender Bedeutung ist. Bruder Karl geht es darum, Jesus im gewöhnlichen Leben näher zu kommen, wo man seine Gemeinschaft im Gebet des Alltags und in den ganz normalen zwischenmenschlichen Beziehungen sucht, in den oft glanzlosen Begegnungen und Zusammenkünften. In seinen Augen geschieht Glaubensverkündigung nicht durch spektakuläre Mittel, sondern durch die absichtslose, oft unscheinbare Güte, die dort verwirklicht werden muss, wo man lebt - eben meist in der Verborgenheit, für die der Name „Nazareth“ steht. Charles de Foucauld verbindet diese Dimension der unauffälligen Glaubenspräsenz mit einer intensiven eucharistischen Spiritualität: Jesu verborgene Gegenwart in der Gestalt des Brotes ist die entscheidende Kraftquelle für ihn. Was lernen wir daraus? Gerade in einer Zeit, die den Glauben entweder als einen abgeschotteten Sonderbereich neben dem „normalen Leben“ sieht oder aber Religion auf aufsehenerregende Events reduziert, kann uns Bruder Karl auf die alles entscheidende Mitte verweisen: Auf die Gemeinschaft mit Jesus, der uns in seine Beziehung zum Vater hineinnimmt und gerade dadurch untereinander verbindet. Mit seinem „Apostolat der Freundschaft“ stellt er gleichzeitig eine weitverbreitete Wellness-Spiritualität unserer Zeit in Frage, die das eigene körperlich-seelische Wohlbefinden und nicht die Zuwendung zum Mitmenschen zum Maß aller Dinge und auch der Beziehung zu Gott macht. Maßstab ist vielmehr die Freundschaft mit Jesus, die in der Eucharistie gestärkt und erneuert wird. Bruder Karls „unmögliche Mission“ bestand im tiefsten Sinn darin, dass sie nicht auf menschliche Erfolgsmöglichkeiten baute, sondern auf die Kraft der Liebe Jesu. Er schreibt: „Darin besteht das Geheimnis meines Lebens: Ich habe mein Herz an diesen Jesus von Nazareth verloren, und mein Leben ist nichts anderes als der Versuch, ihn so nachzuahmen, wie ich es in meiner Schwachheit vermag!“

3. „Mit unmöglichen Mitteln“, so lautete die Schlussbemerkung des damaligen Diskussionsbeitrags. Unmöglich waren die von Bruder Karl gewählten Mittel freilich nur, wenn man sie an der damals vorherrschenden Vorstellung misst, wie Glaubensverkündigung zu erfolgen habe. Es gehört zur Schuldgeschichte der Kirche, wie es Papst Johannes Paul II. in seiner Vergebungsbitte im Jubiläumsjahr 2000 auch ausgesprochen hat, dass sie in der Missionsgeschichte mitunter Druck anwandte, indem sie mehr auf äußere Machtmittel als auf innere Überzeugungsarbeit setzte. Charles de Foucauld war überzeugt davon, dass der christliche Glaube zum Bekenntnis führen müsse, aber gerade in der Begegnung mit anderen Kulturen und Religionen eine lange Reifezeit brauche. Es gibt verschiedene Wachstumsphasen, die nicht übersprungen werden dürfen: Bruder Karl hat dies in seiner eigenen Entwicklung erfahren. Im ersten Bekehrungseifer dachte er selbst ausschließlich in den Kategorien von Aussaat und Ernte; allmählich lernte er verstehen, dass vor all dem erst noch die mühsame und lange Phase der „Urbarmachung“, also die Erschließung des Bodens, als unabdingbarer Anfang steht. Diese Aufgabe erkannte er mehr und mehr als seine Sendung, der er sich verpflichtet fühlte. Diese Betonung der „Erschließungsphase“ noch vor dem Säen und Ernten braucht aber die Bereitschaft, sich ohne Berührungsangst auf unbekanntem, unerschlossenem, ja unsicherem Terrain zu bewegen und dabei eine Geduld aufzubringen, die letztlich aus dem langem Atem des Geistes Gottes kommt. Charles de Foucauld skizziert die Etappen dieses Prozesses so: Es geht zunächst darum, Vorurteile abzubauen und eine Basis der Freundschaft aufzubauen. Daraus kann die Anregung wachsen, die Stimme des Gewissens zu hören und über Gut und Böse zu urteilen. Erst dann erfolgt das eigentliche Angebot des Glaubens. Charles de Foucauld bemerkt dazu sehr nüchtern und realistisch: „Das ist ein Werk, das nicht Jahre, sondern Jahrhunderte dauert.“ Was lernen wir aus dieser Einsicht? Zunächst dies, dass die heute so oft geforderte Neuevangelisierung nicht mit Sturm und Drang auf schnelle Erfolge setzen kann, sondern eine unter Umständen lange Reifezeit akzeptieren muss. Und was die Phase der „Urbarmachung“ betrifft, die Bruder Karl immer mehr als wichtig erkannte, frage ich mich mitunter ganz konkret im Blick auf unsere Situation in Deutschland, ob wir nicht in der Euphorie der politischen Wiedervereinigung zu sehr der Hoffnung auf schnelle Bekehrungserfolge erlegen sind und dabei übersehen haben, dass vor all dem die mühsame und geduldige Bereitung des Bodens erfolgen muss, bevor die Aussaat erfolgen kann. Weiterhin kann uns der Gedanke der „Urbarmachung“ ermutigen, die Entfremdung neuer gesellschaftlicher Milieus vom christlichen Glauben, wie sie etwa die Sinus-Studie vor kurzem beschrieben hat, nicht einfach als Naturgesetz zu sehen, sondern als Auftrag zu einer unverkrampften Begegnung wahrzunehmen. Und schließlich sehe ich im „Apostolat der Freundschaft“, wie es Charles de Foucauld im Umgang mit den muslimischen Tuareg praktiziert hat, durchaus einen hilfreichen Hinweis wie wir praktisch vor der eigenen Haustür die unmittelbare Begegnung mit dem Islam gestalten können: Nämlich durch den Aufbau einer Vertrauensbasis, ohne dass wir dabei eigene Überzeugungen verbergen. Wer all das als „unmögliche Mittel“ ansieht, hat nicht verstanden, dass es dabei nicht um menschliche Rezepte oder gar schnelle Erfolge geht, sondern um das Vertrauen in den Geist Gottes, der als entscheidende Kraft in den Herzen der Menschen wirkt.

Das Unmögliche tun - von rein menschlichen Voraussetzungen geht das nicht. Aber an Charles de Foucauld wird deutlich, was Gott aus Menschen macht, die sich auf ihn einlassen und mit - machen, weil sie darauf vertrauen, dass Gott mehr Möglichkeiten hat, als wir ahnen und dass er unser begrenztes und bruchstückhaftes Leben in den größeren Zusammenhang seines Heilsplans mit der Welt einfügt. Aus meiner Studienzeit bewahre ich von den Kontakten mit den Kleinen Schwestern her ein Bildchen mit dem bekannten Gebet von Bruder Karl auf, dass mir seither sehr wichtig und kostbar geworden ist - auch wenn ich manchmal im Bewusstsein der eigenen Inkonsequenz Scheu habe, es zu sprechen. Aber ich möchte es Ihnen als Ermutigung weitergeben. Es lautet:

„Mein Vater, ich überlasse mich dir; mach mit mir, was dir gefällt. Was du auch mit mir tun magst, ich danke dir. Zu allem bin ich bereit, alles nehme ich an. Wenn nur dein Wille sich an mir erfüllt und an allen deinen Geschöpfen, so ersehne ich weiter nichts, mein Gott. In deine Hände lege ich meine Seele. Ich gebe es dir, mein Gott, mit der ganzen Liebe meines Herzens, weil ich dich liebe und weil diese Liebe mich treibt, mich dir hinzugeben, mich in deine Hände zu legen, ohne Maß, mit einem grenzenlosen Vertrauen. Denn du bist mein Vater.“ Amen.