Hinweis

Ihre Browserversion wird leider nicht mehr unterstüzt. Dies kann dazu führen, dass Webseiten nicht mehr fehlerfrei dargestellt werden und stellt ein erhebliches Sicherheitsrisiko dar. Wir empfehlen Ihnen, Ihren Browser zu aktualisieren oder einen der folgenden Browser zu verwenden:

Vortrag über den Einfluss moderner Medien auf das gesellschaftliche Selbstverständnis

Leben mit dem Unbekannten

Dass unsere moderne Gesellschaft sich in einem stetigen Wandel befindet, ist offensichtlich und man verfolgt mit Spannung die jeweils nächsten Schritte. Doch dabei stellt sich die Frage: Wer bestimmt diesen Prozess, wohin wird es uns führen? Längst wird die These vertreten, wir befänden uns nicht nur in einer Phase der Veränderung, sondern auf dem Wege in eine neue Gesellschaftsform. Mit diesem Spannungsfeld beschäftigte sich Dennis Kirschsieper, Diplomsoziologe vom Institut für Politikwissenschaft und Sozialforschung der Uni Würzburg bei seinem Vortrag in der KHG. Unter dem Titel „Die neuen Medien und die These der nächsten Gesellschaft“ ging er auf grundlegende Fragen der kommunikativen Entwicklung ein und
widmete sich möglichen Modellen zukünftigen Zusammenlebens.

Kirschsiepers wissenschaftlicher Ansatz geht von der grundlegenden Erkenntnis aus, dass sich Menschheit von Anbeginn regelmäßig mit neuen Gesellschaftsmodellen konfrontiert sah. Um die aktuellen Entwicklung richtig einzuschätzen, sei es wichtig diese historische Perspektive einzubeziehen. Auffallend dabei ist die zentrale Funktion eines jeweils neuen Mediums. Sobald sich ein solches herausentwickelte, stellte es sich zunächst als Problem dar, weil die Gesellschaft sich zwangsläufig daran anpassen musste. Der erste Schritt beginnt bereits in der Stammesgesellschaft, in der sich überhaupt erst einmal die Sprache an sich herausbildete. Plötzlich war man in der Lage, Dinge zu besprechen, die nicht real vor Ort waren. Es entwickelte jede Kulturtechnik im Laufe der Geschichte ihre eigenen Regeln. Ein wichtiger Gesichtspunkt dabei war, Grenzen zu ziehen, um die Kommunikation zu organisieren. Der gewaltige Fortschritt des geschriebenen Wortes trat in der antiken Gesellschaft ein. Nun war es möglich, über große Distanz und auf neuen Wegen zu kommunizieren. Das Gedächtnis wurde entlastet, weil Informationen abgelegt werden konnten. Einen weiteren radikalen Wandel erlebten die Menschen mit dem Buchdruck. Er war Grundlage des Massenmediums. Die Zahl der Adressaten war unbegrenzt. Informationen waren nicht nur generell verfügbar, sondern auch vergleichbar. Nachdem über alles geschrieben und verhandelt werden konnte, wurde die Gesellschaft differenzierter. Was zunächst Wissenschaft und Religion vorbehalten war, Themen und Probleme zu bestimmen, weitete sich durch die Demokratisierung von Bildung schließlich in alle Bereiche aus. Das Interesse des Individuums an dem eigenen Leben tritt damit immer mehr in den Vordergrund.

„Mit dem Computer zeichnet sich nun die nächste Gesellschaftsform ab“, stellte Kirschsieper in Anlehnung an den Soziologen Dirk Baecker fest. Durch diesen Entwicklungssprung hätten sich wiederum Möglichkeiten ergeben, mit denen die bisherigen Strukturen nicht zurecht kämen. Der PC hat ein eigenes Gedächtnis, er berechnet selbstständig Dinge, seine inneren Abläufe bleiben den Meisten verborgen. Man ist dankbar für das Ergebnis, dessen Entstehen undurchschaubar ist. Daher liefern sich die Nutzer diesen Prozessen in der Regel kritiklos aus. Daten werden nicht nur von Mensch zu Mensch vermittelt, sondern der Rechner kommuniziert eigenständig. Der Nutzer greift täglich auf riesige Datenmengen zu, deren Richtigkeit er nicht einschätzen kann und deren Urheber ihm verborgen bleiben. „Die Autorität der Quelle wird ersetzt durch die Unbekanntheit der Quelle“, stellte Kirschsieper fest. Das verändere die Form der Beziehung zu den Informationen. „Es bleibt lediglich ein Systemvertrauen zurück.“ Nach Dirk Baecker leben wir in einer Wissensgesellschaft, die sich vergegenwärtigen muss, dass Informationen schnell veralten, nicht verlässlich sind und ständig überprüft werden müssen. „Die logische Konsequenz wäre also, uns als Unwissensgesellschaft zu definieren“, führte Kirschsieper die Überlegung fort.

Während in der Vergangenheit die Religion häufig Antworten auf schwierige gesellschaftliche Fragen geben konnte, biete sie angesichts dieser speziellen Entwicklung keine Hilfestellung mehr. „Denn sie verlagert das Unwissen ins Jenseitige und schließt es nicht ins Hier und Jetzt ein“, so Kirschsieper. Wenn allgemeine gesellschaftliche Unsicherheit zunimmt, neigen die Menschen dazu, sich dahin zurückzuziehen, wo sie glauben Antworten zu finden. Nach Kirschsieper ist dies der Raum des Privaten. Er zeichne sich durch Überschaubarkeit und Körperlichkeit aus.

Angesichts der sich beschleunigenden Entwicklung der kommunikativen Strukturen, sieht Kirschsieper zwei Wege einer zukünftigen Gesellschaftsform. Entweder ergebe sich eine Spaltung in eine klar getrennte Online- und Offlinewelt. Oder aber es sei eine Netzwerkgesellschaft zu erwarten, in der sich die Menschen nur für gewisse Projekte – auch virtuell – zusammentun, um die Gruppe danach wieder aufzulösen. Bildlich entstünde eine dynamische Gitterstruktur, ohne Zentrum, die sich immer wieder neu formiert.

In einer abschließenden Diskussion stand im Mittelpunkt, inwieweit die neuen Medien sich erheblich auf politische Veränderungen, wie etwa in Nordafrika ausgewirkt haben. Facebook und Co. konnten die Massen mobilisieren und eine Gegenöffentlichkeit entwickeln. Daneben repräsentierten sie Freiheitsideale und eine gewisse westliche Lebenskultur. Wie groß der tatsächliche politische Effekt war, ist schwer zu bewerten. Doch immerhin wurde deutlich, dass die Macht der Medien kaum noch steuerbar durch Einzelne ist. Bei allen möglichen Nachteilen der neuen Gesellschaft bedeutet dies eine Demokratisierung der Öffentlichkeit.